Sommer 2020 – aus dem Auge des Hurricane
Irgendwann werden wir uns fragen: Wie war es, als Corona seinen Feldzug um die Welt antrat? Wie haben wir uns gefühlt, als die Nachrichten aus dem fernen Wuhan Realität in Deutschland wurden. Was hat es mit unserem Leben, unseren Beziehungen und unseren Familien gemacht? Waren wir stark genug, um die Herausforderung anzunehmen oder hat uns die Angst gelähmt – zu einer Zeit, als niemand wusste, wie das ganze enden würde.
Und wissen wir es denn heute?
Sunshine Eyes ist eine 10-teilige Serie, in der alle Protagonisten sich dem Wagnis des Nichtwissens ausgesetzt haben: Schauspieler, Regisseure, Filmtechniker und Laiendarsteller. Sie spielen, wie es sich anfühlt, mit der größten Herausforderung seit Ende des Zweiten Weltkriegs umzugehen, ohne eine fertige Antwort zu haben. Da ist eine Bedrohung, die in den letzten Winkel der Welt vordringt, sogar in unser privates Leben, in unsere Intimsphäre – und sie trifft dabei die Schwächsten: Die Heranwachsenden, die gerade dabei sind, ihre eigene Rolle in der Gesellschaft zu finden. Sunshine Eyes ist daher auch eine Serie über das Coming of Age von Jugendlichen in der Pandemie.
Lea und Leonie sind Schwestern, die getrennt wurden, nachdem ihre Mutter gestorben ist und ihr Vater verschwunden. Lea lebt bei ihrer Oma, Leoni in Heimen und bei einer Pflegefamilie. Der größte Wunsch der beiden ist, wieder zusammenzuziehen und gemeinsam bei der Oma zu leben. Doch das ist nicht so einfach unter den Pandemieregeln. Dann sind da noch die Nachbarsfamilien, die Jungs und Mädchen, die alle ihre eigenen Probleme haben. Es geht um Aufbruch und Ausbruch, um das Ausprobieren neuer Rollenmodelle und das Infragestellen der alten familiären Bindungen.
In diese Welt bricht Corona ein wie ein lautloser Spielverderber. Anfangs machen sich die Jugendlichen noch lustig über das Virus und die neuen Regeln. Doch dann wird es ernst. Kinder, die eben noch mit Tauchermaske Corona spielten, müssen mitansehen, wie ihre Eltern per Zoomkonferenz gefeuert werden. Plötzlich ist niemand mehr da, der ihnen die Welt erklärt. Weder die Eltern noch die Lehrer. Und auch die Kanzlerin im Fernsehen strahlt keine Zuversicht aus.
Groß als Motto:
Regisseurin Maria von Heland:
„Für die Jugendlichen war Corona ein Schlag in die Fresse. Die Kleinen leben noch in ihrer Mapa-Papa-Welt, die Erwachsenen verstecken sich hinter ihrer Altersweisheit, aber die Heranwachsenden haben keine Chance.“
So ungewöhnlich wie die Umstände war auch die Entstehungsgeschichte von Sunshine Eyes. Ohne Sender im Rücken nahm die Regisseurin Maria von Heland all ihr Geld in die Hand, dazu noch die Corona-Hilfen des Staates, und rief befreundete Schauspieler, Kameraleute und Filmtechniker an. Darunter so bekannte Namen wie Nina Petri, Juliane Köhler und Stephanie Eidt. Gemeinsam entwickelten sie den Stoff. Ausgearbeitete Dialoge gab es nicht. Alle mussten improvisieren. Wichtig war der Augenblick, das Zeitfenster, in dem sich die Welt verändert. Die Verunsicherung, die Emotionen und alles andere festzuhalten, was sonst unwiederbringlich verloren ist.
Wie kann man Gefühle besser darstellen, als in dem Moment, in dem sie entstehen. Keine eitle Selbstreflexion wie bei den „Satire-Videos“ der Corona-Skeptiker um Volker Bruch und Dietrich Brüggemann, sondern der Versuch, die eigenen Erfahrungen aus dem Lockdown in eine Handlung zu übertragen, in der sich jeder Zuschauer wiederfinden kann.
Motto:
Maria von Heland:
„Sunshine Eyes ist keine Serie über Corona so wie Philadelphia kein Film über Aids war“, sagt Maria von Heland, „Es geht um das Hier und Heute. Um das normale Leben mit und unter Corona. Damit wir uns später daran erinnern.“
Das wirft natürlich Fragen auf. Wieviel Realität ist in einem Unterhaltungsformat erlaubt? Hat der Zuschauer kein Recht auf ein wenig Flucht vor der Wirklichkeit. Ist so ein komplexes Thema nicht besser in den Nachrichtensendungen und Talkshows aufgehoben? Und können Schauspieler mit Maske sexy sein?
Zumindest die letzte Frage löst Sunshine Eyes souverän: Ja, können.
Aber es ist auch eine andere Frage erlaubt: Wie lange wollen wir warten, bis Corona so klein geworden ist, dass wir uns trauen, darüber Filme zu drehen? Filme, die mehr sind als nur ein krampfhafter Versuch, Aktualität zu erzeugen oder politische Botschaften zu versenden. Wir brauchen die Flipcharts, die Kurvendiagramme und die Experten-Interviews. Wir brauchen aber auch die Filme und Serien, in denen wir über unsere Gefühle sprechen – als Corona über uns hereinbrach.